
Seit ich denken kann, liebe ich Filme. Als ich klein war, war ich selten im Kino. Filme wurden zu Hause geschaut. Meine Eltern hatte beide eine tiefe Begeisterung für Filme. Anfangs schauten wir nur die Filme, die auch im Fernsehen gezeigt wurden, denn wir hatten noch keinen Videorekorder. CD-Player oder Bluray-Player waren noch nicht erfunden. Meist schaute mein Vater in der Fernsehzeitschrift nach, welche Filme laufen würden. Er hatte schon immer eine Begeisterung für Western - vor allem für Western mit John Wayne. „Stagecoach“, „Rio Bravo“, „El Dorado“, „Die mutige Mattie“, „The Shootist“, natürlich auch „High Noon“ mit Gary Cooper und „My Darling Clementine“ mit Henry Fonda. Die Begeisterung meines Vaters für Filme und ihre Helden übertrug sich auf uns Kinder. Die Helden der Western waren auch unsere Helden.
Schon früh fing ich an Bilder aus Zeitschriften auszuschneiden, Postkarten und Bücher über Filme zu sammeln. Auf der alten Schreibmaschine meines Vaters legte ich Listen aller Filme an, die ich gesehen hatte, damit ich auch keinen vergaß. Meine Helden waren allen voran Gary Cooper und Burt Lancaster. Gary Cooper natürlich in „High Noon“, Burt Lancaster in „Der rote Korsar“. Bald kam Errol Flynn dazu in „Der Herr der sieben Meere“ und „Captain Blood“. Ich lag vor dem Fernseher und himmelte sie alle an.
Angefangen hatte meine Leidenschaft aber mit einem ganz anderen Film: Winnetou. Und einem ganz anderen Helden. Ich fand Winnetou selbst immer absolut uninteressant, Old Shatterhand, damals gespielt von Lex Barker, aber umso interessanter.
Eines Tages war ich für meine Mutter einkaufen und entdeckte im Supermarkt eine Bravo-Zeitschrift, die auf der Vorderseite damit warb, dass innen ein Poster von Lex Barker war. Zuerst lief ich an der Zeitschrift vorbei, denn ich wusste, dass das nichts war, was meine Mutter zu Hause geduldet hätte. Ihr waren solche Zeitschriften zuwider. Doch dann konnte ich einfach nicht widerstehen. Ich kaufte die Bravo, riss auf dem Heimweg das Poster heraus und schmiss den Rest in den Müll. In meinem Zimmer hängte ich das fast lebensgrosse Poster an die Seitenwand meines Schrankes, so, dass ich jeden Abend von meinem Bett aus einen Blick darauf werfen konnte - und war das erste Mal wirklich glücklich.
Eines Tages war mein Opa zu Besuch und kam am Abend in mein Zimmer, um mir gute Nacht zu sagen. Er setzte sich auf mein Bett und sein Blick fiel auf das Poster. Dort stand in großen Buchstaben „Lex Barker“. Mein Opa schaute es an und dann sagte er: „Da ist ein Schreibfehler auf dem Poster. Das heißt nicht Barker, sondern Parker. Alle Amerikaner heißen Parker.“ Ich widersprach und erklärte meinem Opa, dass dies der Darsteller des Old Shatterhand aus dem Film Winnetou sei und er wirklich so heiße. Mein Opa schaute mich an und schüttelte vehement den Kopf. Das könne gar nicht sein. Fast zu spät merkte ich, dass mein Opa sich einen riesigen Spaß mit mir machte. Er wollte einfach gerne sehen, wie ich reagiere. Es regte mich natürlich furchtbar auf, denn das war mein Held und damit war er einfach perfekt.
Meine Begeisterung für Filme und ihre Helden kannte keine Grenzen. Einzutauchen in die Bilder und Geschichten, mich von der Musik und der Ausstrahlung der Leinwandhelden mitreißen zu lassen, war einfach das Größte für mich. Vielleicht lag es an der spürbaren Begeisterung meiner Eltern für Filme, vielleicht lag es aber auch einfach an den Filmen selbst. Sie erzählten von Helden und Abenteuern, von Freundschaft und Liebe, von Mut und Entschlossenheit, Loyalität und Verantwortung.
Manchmal hatte ich Sorge, dass ein Held sein Abenteuer nicht überstehen könnte, dann erinnerte ich mich immer an einen Satz meiner Mutter. Sie hatte mir mal, als ich ihr von meiner Angst, ein Filmheld könnte sterben, erzählt hatte, gesagt, hier gelte die alte Regel „Tom Prox stirbt nie“. Wer ist Tom Prox, hatte ich sie da gefragt. Sie erklärte mir, Tom Prox sei ein Held aus Romanheften, die es früher gab. Sie sagte, Tom Prox sterbe nie und überstehe alles, selbst die gefährlichsten Abenteuer, immer unbeschadet. Das könne ich mir merken. Tom Prox sterbe nicht. Das sei so. Er schaffe es immer, hatte meine Mutter gesagt. Das hatte mich sehr beruhigt, denn in meiner Vorstellung waren diese Helden im Film ja genau das, Abenteurer, die alles schaffen.
Den tiefsten Eindruck hat der Film „High Noon“ bei mir hinterlassen. Ein Film über einen etwas anderen Helden. Kein junger Kerl, kein Draufgänger, der den Eindruck vermittelt, dass er alles schaffen kann. Und doch ein Held, der mich tief berührt und beeindruckt hat. Er tut das, was er einfach tun muss, auch wenn alle ihm abraten und keiner zu ihm stehen will. Er läuft nicht davon.
Er übernimmt Verantwortung. Verantwortung für sein Tun. Er will nicht davon laufen, sich verstecken. Er hat Angst und doch weiss er, dass er hier für sein Handeln einstehen muss, dass er auch andere schützen muss. Und so wartet er auf die Ankunft des Mannes, der geschworen hat, sich an ihm und der Stadt zu rächen.
Do not forsake me, oh my darlin‘ on this our wedding day
do not forsake me, oh my darlin’ wait, wait along
I do not know what fate awaits me I only know I must be brave
And I must face a man who hates me or lie a coward, a craven coward
Or lie a coward in my grave.
Er will kein Feigling sein. Das war das erste Mal, dass ich gefühlt verstanden habe, was es wirklich heißt, kein Feigling zu sein. Der Angst und dem ungewissen Ausgang ins Auge sehen. Gleichzeitig hat der Held eine junge Frau, die er liebt und von der er hofft, dass sie zum ihm stehen wird, in versteht. Und dies ist seine größte Angst, viel größer als die Angst vor dem Tod. Die Angst, sie könnte sein Handeln nicht verstehen und ihn verlassen.
He made a vow while in state prison:
Vowed it would be my life for his an',
I'm not afraid of death but, oh, what shall I do,
If you leave me?
Das erste Mal, dass ich High Noon gesehen habe, war an einem Sonntag vor fast 40 Jahren. Ich war 12 und mein Vater hatte bereits Tage vorher schon den Film angekündigt und uns davon erzählt. Seine Erzählung und Begeisterung war für mich so greifbar, dass ich es kaum erwarten konnte, endlich den Film zu sehen. Am Sonntag Mittag dann saßen mein Vater, meine Brüder und ich vor dem Fernseher. Der Film fing an und mein Vater drehte die Lautstärke des Fernsehers hoch, denn die Musik, die erst leise beginnt, war zu Anfang gar nicht zu hören. Ich war hin und weg. Ich liebte die Musik. Ich liebte die Bilder. Und es war einer der ersten Filme, die in Echtzeit eine Geschichte erzählten. Die Geschichte eines Sheriffs, der auf die Ankunft des Mannes wartet, der vor Gericht geschworen hat, sich zu rächen, an ihm und der ganzen Stadt. Eine Geschichte vom Kampf gegen das Böse. Eine Geschichte vom Bleiben und vom Nicht-Weglaufen, von Verantwortung. Vor allem aber, für mich, eine Geschichte von dem Mut zu den eigenen Überzeugungen zu stehen, vor sich selbst nicht davon zu laufen.
Gary Cooper war mein Held und ich liebte ihn. Ich sammelte Bilder und Postkarten meines Helden, kaufte Bücher über ihn. Das schönste Bild aber hatte meine Mutter. Es war klein und natürlich schwarz-weiss und steckte in einem Fach mit Klarsichthülle in einer alten roten Ledermappe, die mit einem Reißverschluss zu schließen war. Diese Mappe gehörte meiner Mutter und ich hatte nie hineingeschaut, bis ich eines Tages, ich weiss nicht mehr weshalb, hineinschaute. Und da war es - dieses wunderbare Bild von Gary Cooper. Ich fragte meine Mutter, ob ich es haben könne. Nein, sagte sie bestimmt, dieses Bild gebe sie nicht her. Ich verstand und, wenn auch enttäuscht, fragte ich nicht mehr.
Helden im Film sind etwas Wunderbares. So perfekt und doch so zerbrechlich. Sie leben von der Begeisterung des Betrachters. Hier war ich der perfekte Betrachter. Die Geschichten und ihre Helden lebten in meinem Kopf weiter, weit über den Film hinaus. Ich liebte meine Helden und wusste doch auch, dass sie nicht unfehlbar waren, denn sie waren eben keine echten Menschen im echten Leben, sondern Leinwandhelden.
Filme erzählen Geschichten, mal wahre, mal erfundene, immer aber Geschichten, die vom Leben erzählen und von den Menschen, vom Mutig sein und sich seiner Verantwortung stellen. Aber auch davon, nicht davon zu laufen - es erzählt von Schicksal und von Liebe, von Freundschaft und Zusammenhalt. Alles Dinge, von denen ich als Kind natürlich noch nicht so viel wusste, eines aber wusste ich auch schon mit 12 - meine Helden waren integer und gut und keiner war ohne Fehler und das machte sie alle so liebenswert.